Von Pfarrern, Täufern und Nikodemiten - Arth während der Reformationszeit

Von Pfarrer Urs Heiniger, Oberarth

Die Gemeinde Arth erlebte während der Reformationszeit eine besondere Geschichte. Obwohl das Dorf im katholischen Land Schwyz liegt, hat es hier seit 1519 mit Pfarrer Balthasar Trachsel eine eigene Form von reformierter Frühgeschichte gegeben. Hundert Jahre später trafen sich in Arth heimlich Anhänger des reformierten Glaubens sowie Täufer – die Nikodemiten. Bald begannen sie, im Arther Viertel im Landsgemeindering zu Ibach politischen Einfluss zu nehmen. Jedenfalls bis 1655, als nach ländlichen Bauernaufständen und weiteren politischen Unsicherheiten keine abweichende Religion mehr geduldet wurde. Nun mussten die Arther Nikodemiten fliehen oder abschwören und bei Busse bereuen. Vier Personen wurden nach besonders trotziger Standhaftigkeit hingerichtet. Das provozierte Zürich und führte im Januar 1656 zum Ersten Villmergerkrieg.
(Danksagung und Literaturliste am Schluss der Seite)

Der Arther Pfarrer In Pfarrer Balthasar Trachsel (um 1493–1562) hatte Ulrich Zwingli (1484–1531) einen recht ungestümen Freund. Vor seiner Tätigkeit in Zürich war der spätere Reformator Zwingli von 1516 bis 1518 Leutpriester in Einsiedeln gewesen; Trachsel selbst wollte ab Oktober 1519 als Pfarrer von Arth die Reformation in der Innerschweiz vorantreiben.

Gut beschrieben findet sich das Ganze bei Alois Rey (Rey, Protestantismus, siehe Literaturliste, S. 19ff). Trachsel predigte gegen Marienkult, Ablass und Heiligenverehrung sowie für die Priesterehe, die er selber suchte. Die Heirat mit seiner Magd in Luzern brachte das Fass zum Überlaufen, wie auch sonst einige seiner Predigten in Tumulten geendet haben mussten. Der Arther Pfarrer entwickelte sich zum Sorgenkind: Zwinglis vertrauter Freund Oswald Myconius (1488–1552) bekam bei einer Reise nach Zürich in Arth zu hören, dass der "Pfarrer nur zusehen solle, dass ihm nichts Schlimmes passiere!" Einige Pfarrgenossen nannten ihn abschätzig "Geisshirten" oder sprachen vom "Büblein, das kaum aus dem Ei geschlüpft sei" und dass man in Arth gerne seine "Fabeln" los wäre. Das hinderte Trachsel nicht daran, Zwinglis Bittschrift um Gewährung der Priesterehe im Juli 1522 an den Konstanzer Bischof Hugo von Hohenlandenberg als Erster (!) zu unterzeichnen. Als Heisssporn kannte er keine Angst, währenddessen Myconius Zwingli darum bat, für Trachsel eine Stelle freizuhalten, falls dieser Arth verlassen müsse.

Unklar ist, wie lange Trachsel blieb. Denn ab 1523 vernimmt man in Arth nichts mehr über ihn. Die Pfründe wurden 1527 wieder vergeben, und von Trachsel hört man erst ab 1528, als er als Prediger unter Ortspfarrer Kern in Kloten tätig wurde. Dieser hatte noch nicht von der Messe zum Predigt-Gottesdienst gewechselt, weshalb Trachsel möglicherweise bewusst dorthin geschickt worden war. Bereits 1529 zog er allerdings ins Gasterland (heute SG, damals gemeine Herrschaft von SZ und GL) weiter, wo er als scharfer Prediger von den mitspracheberechtigten reformierten Glarnern vor einer Urteilsvollstreckung gerettet werden musste. Darauf war er zurück in Kloten, nun aber als Pfarrer. 1540 wechselte er nach Wigoltingen im Thurgau, wo er bis 1562 Prädikant war.

Obwohl Trachsels Tätigkeit von den damaligen Arthern und auch insgesamt eher kritisch bewertet wird, kann man nicht übersehen, dass sein Wirken einen Kreis entstehen liess, der für die reformatorischen Neuerungen durchaus Sympathie bekundete. Immerhin liessen einige Arther während dem Zweiten Kappelerkrieg (1531) die Waffen schweigen. Rey meint lakonisch: „Ein bestimmter Verdacht der Häresie mag seither auf den Arthern gelastet haben.“

Stille Zwischenzeit Man weiss nicht genau, wie sich in Arth das religiöse Leben neugläubiger Personen und Familien nach der Zeit von Pfarrer Trachsel bis zum neuen Auflodern um 1620 gestaltete. Die neugläubige Überzeugung konnte in Schwyz nicht frei gelebt werden, da nach dem Zweiten Kappelerkrieg jeder eidgenössische Ort seine Konfession selbst bestimmen durfte. Dies war eine Vorwegnahme des Grundsatzes "cuius regio eius religio" (wessen Gebiet, dessen Religion) des Augsburger Religionsfriedens von 1555. In Schwyz blieb man dem alten, überlieferten Glauben treu.

Im Untergrund wirkten neugläubige Gruppen jedoch weiter. 1544 nahm die Schwyzer Obrigkeit Nachforschungen auf „wegen reformatorischer Umtriebe" (Landolt, Auswirkungen, siehe Literaturliste) in Arth. Die gefundenen „lutherischen Büchlein“ wurden nach Schwyz gebracht; strafrechtliche Verfolgungen sind nicht bekannt. Insgesamt liess die Obrigkeit die neugläubigen Arther weitestgehend gewähren, wohl auch, weil man im innereidgenössischen Diskurs Konfrontationen und gefährlichen Entwicklungen ausweichen wollte. Mit zunehmendem konfessionellem Bewusstsein beider Seiten und nach den aufgenommenen Reformen durch das Konzil von Trient Mitte des 16. Jahrhunderts kam es allerdings nicht nur in Schwyz zu Verhärtungen. Es begann auf beiden Seiten eine Phase der Orthodoxie, also einer abgrenzenden und ausschliessenden Rechtgläubigkeit.

Nikodemiten Im Arther Sonnenberg herrschte seit ca. 1620 ein neues, reges geistliches Nachtleben. Mehrere Familien und Einzelpersonen trafen sich zu Bibellektüre, Gebet und Gesang. Sie werden auch Krypto-Protestanten genannt, weil sie sich dazu im Verborgenen trafen. Das bedeutet, dass sie am Tag dem gewöhnlichen Leben nachgingen und auch Messen und andere kirchliche Veranstaltungen besuchten. Diese Christen im Untergrund werden aber vor allem als Nikodemiten bezeichnet; denn sie versammelten sich wie der biblische Nikodemus mit Jesus (Joh 3,1-21) nur im Schutze der Dunkelheit. Auch in anderen europäischen Ländern gab es vereinzelt Nikodemiten. Ein dritter Name für diese Christen ist Hümmel, da die Hummel wohl als Sprachbild für den Heiligen Geist steht, den ein Gläubiger zuerst empfangen müsse. Er wurde nicht gerne gehört und war schon bald ein Spottname („bist auch du ein Hümel und hast den Mund voller Summen…“). Die Bezeichnung blieb lange mit einem Teil der Arther Bevölkerung verbunden und wurde erst 1668 durch einen Ratserlass verboten.

Treibende Kraft der Arther Nikodemiten war der Tischmacher (Tischler, Schreiner) Baschi Meyer, der um 1620 von Immensee hergezogen war und als Wunderdoktor und Prediger in reformiertem Sinne auftrat. Möglicherweise konnte Baschi Meyer auf täuferische Bekanntschaften zurückgreifen, weshalb er den Kanton Zürich damals noch mied. Die Täufer lehnten unter anderem die Kindertaufe ab und standen damit in Widerspruch zur offiziellen reformierten Kirche. Es scheint an den Grenzen zu Luzern und Zürich einige Personen gegeben zu haben, die mit mennonitischem Bekenntnis zur Erwachsenentaufe unterwegs waren. Bekannt für die Täufer sind ja auch das Zürcher Oberland und die hügeligen Gebiete oberhalb von Horgen und Richterswil an der Grenze zum Kanton Schwyz.

Ab den 1620er-Jahren bestrafte die Obrigkeit leichtere Religionsdelikte der sogenannten Arther Neugläubigen mit Wallfahrten oder Geldbussen, woraus sich der Täuferhandel entwickeln sollte. 1622 äusserte sich Jungbaschi von Hospenthal kritisch zur Politik. Weitere folgten, und so wurden viele auf die frechen Arther Stimmen aufmerksam, was zu Widerstand der Katholiken führte. 1628 wurde der als besonders entschiedener Täufer bekannte Baschi Kennel von der Regierung mit einer Busse belegt. Und ein Melchior von Hospenthal verlor wegen Lästerung der Gottesmutter zusätzlich zu einer Geldbusse auch "Ehr und Wehr", also seine Glaubwürdigkeit und seine Bürger- und Wahlrechte. Seit diesem Urteil zog die Regierung Bücher mit reformatorischem oder täuferischem Inhalt ein und befragte die Gefangenen – darunter jetzt auch der Vorsteher der Täufergemeinde Baschi Meyer – ausführlicher und mit zunehmender Strenge. Ein grosses Zeugenverhör über die Täufer in Arth fand 1629/1630 statt, der sogenannte "Täuferhandel". Im März 1630 flüchtete Baschi Meyer ins Zürcherische, wohl wie früher angekündigt ins Knonaueramt. Die anderen Beteiligten verhielten sich in der Folge ziemlich katholisch, gingen zur Beichte und wurden mit Strafwallfahrten nach Einsiedeln oder Rom und teilweise mit "Ehr- & Wehrlos-Erklärungen" wieder entlassen. Sie hatten während den Verhören nichts Belastendes gesagt und einfach geschweigen.

Nach der Flucht von Baschi Meyer blieben die Arther Täufer ohne Leitung, worauf sie gemäss Reys Darstellung nicht mehr viele neue Mitglieder gewinnen konnten. Indessen warben aber nun diejenigen Arther, welche reformatorischem Gedankengut verbunden waren, weiterhin für ihre Gemeinschaft und begannen nun auch, im Arther Viertel politischen Einfluss zu nehmen. Einige Mitglieder der Familie von Hospenthal taten sich besonders hervor.

Martin von Hospenthals Frau war gelähmt. Deswegen war er oft in Zürich beim Wundarzt Hans Volmar-Steinfels (1613–1676), um "etliche urinen" zur Untersuchung oder Medizin nach Hause zu bringen. Dieser Kontakt wurde freundschaftlich und führte zu einem regen Gedanken- und Bücheraustausch in Glaubensfragen. Auf einem dieser Heimwege von Zürich musste die Reisekutsche in Wollishofen wegen eines Unwetters Schutz suchen. Offenbar war von Hospenthal dabei vom Hausener Pfarrer Johann Erhard Kesselring (1617–1696) angesprochen und zu Imbiss und Gespräch vor aufgeschlagener Bibel bei sich zuhause eingeladen worden. Das geschah laut Rey vor dem 2. Juni 1652, denn an diesem Datum bedankte sich von Hospenthal bei Kesselring mit einem Gedicht. Seither war Kesselring für die Arther Berater, Unterstützer und Notnagel. Auch sondierte er über seinen Schwager und Paten Ratsherr Landolt beim offiziellen Zürich, wie denn die Chancen für eine weitergehende Hilfe an die Innerschwyzer Glaubensgeschwister stünden. Die Zürcher Regierungskreise wollten sich damals aber nicht mit einer diesbezüglichen Verwicklung belasten. Mit Schwyz war nicht zu spassen!

Nikodemitenhandel bis Villmergerkrieg Widerstand
Ab 1651 kam es in Schwyz zum Widerstand gegen die Regierung. Auch die Neugläubigen von Arth engagierten sich dabei, indem sie eine „Regimentsänderung“ befürworteten. Der Rat konnte sich bisher, wenn er personell doppelt oder dreifach tagte, nach Belieben selber ergänzen, meist mit Familienmitgliedern. Das wurde nun bekämpft mit der Forderung, dass alle Abstimmenden zuerst gewählt werden müssten. Die Ratsherren zu Schwyz waren entrüstet und wollten sich da partout nicht dreinreden lassen.
Die Arther Nikodemiten versuchten sogar, einen der ihren für einen freiwerdenden Ratssitz vorzuschlagen. Dieses Weibeln wurde nicht gerne gesehen. Einige bezichtigten sie des "Trölens", das heisst des zwar verbotenen, aber dennoch oft ausgeübten bestechlichen Werbens. Es ist gut nachvollziehbar, dass die Arther Nikodemiten damit die Hoffnung verbanden, in Sachen "Religions- & Glaubensfreiheit" auf lange Sicht verfassungsrechtliche Änderungen bewirken zu können.
Im Mai 1651 wurde die Sache heiss, und es hiess von Regierungsseite, Schwyz sei bereits bei anderen Orten verschrien und eidgenössisches Einschreiten drohe. Kommt hinzu, dass das Arther Viertel für Schwyz durchaus ein schwieriges war, weil es mit der Unterallmend (heute Unterallmeindkorporation UAK; siehe Rey S. 109f.) eine grosse wirtschaftliche Selbständigkeit besass.

Am Vorabend der bäuerlichen Aufstände im Entlebuch und Emmental merkten die Schwyzer, dass sich in Arth wieder die "alte Häresie" zeigte, und diesmal sogar mit einer Zürcherischen Rückendeckung, die nicht verborgen bleiben konnte. Denn als Jungbaschi von Hospenthal, ein Bruder des bereits erwähnten Martin von Hospenthal, beim Verkauf von Werkzeugen den Jost Steiner in Glaubenssachen umwarb, sagte dieser zwar ab, ging aber mit seinem schlechten Gewissen bei den Schwyzer Kapuzinern zur Beichte. Deren Einwände brachten Steiner dazu, die Sache der Obrigkeit melden. So wurde er am 10. September 1652 verhört. Über Verbindungen bis in Regierungskreise hatte Baschi aber bereits Kenntnis davon und ging mit seiner katholischen Bibel zum Arther Pfarrer, der ihm beschied, dass er die lesen dürfe, wenn er sich still verhalte. Von seiner reformierten Bibel hatte er natürlich nichts gesagt. Anschliessend drohte er in Arth dem Steiner, was die Leute als auf "lib und läben threut" (gedroht) verstanden. Dafür wurde Hospenthal schwer verwarnt.

Bauernkrieg
Der Ausbruch des Bauernkrieges von 1653 brachte die Schwyzer Regierung gegenüber dem eigenen Volk zusätzlich in die Klemme. So war Schwyz – als bäuerlicher Landsgemeindeort – durch die eidgenössische Solidarität (Bünde) doch ausgerechnet verpflichtet, gegen Bauern Krieg zu führen. Nach Misserfolgen in der Vermittlung mit den Aufständischen versicherte sich Luzern der Dienste der Waldstätte, während diese auf Sympathie bei den Innerschweizer Bauern gehofft hatten. Nach einem Ultimatum der Entlebucher Bauern hatte die Regierung nun genügend Argumente, und so beschloss die Schwyzer Landsgemeinde am 22. Mai 1653 Bündnistreue gegenüber Luzern. Der Aufbruch am nächsten Tag führte aber bereits in Küssnacht zu Widerspruch. In Luzern selber ging es nicht besser; der Angriffsplan wurde den aufständischen Bauern verraten. Beim folgenden Sturm legten sich Arther, Einsiedler und einige andere auf den Boden und verweigerten den Marschbefehl. Es gab darum viel Aufhebens, verschiedene Geschichten und Erklärungen, die von beiden Seiten natürlich ziemlich gegensätzlich klangen. Rey (Protestantismus, S. 118) sieht in der grundsätzlichen Kriegsgegnerschaft der Arther ein täuferisches Element, womit er seine These unterstreicht, dass die im Nikodemitenhandel zuletzt Hingerichteten wahrscheinlich nicht reformierte Neugläubige, sondern Täufer gewesen seien.

Am 30. August 1653 übernahm der Menzinger Pfarrer Melchior Meyenberg die Arther Pfarrei von seinem verstorbenen Vorgänger. Er war ein starker Verfechter der tridentinischen Reformen und damit ein glühender Gegner der Nikodemiten. Da half auch ein Brief nicht, worin er aufgefordert wurde, "er solle bleiben, wo er sei, und nicht nach Arth kommen".
In einer Neujahrspredigt zu Eph 4,22-23 sprach Meyenberg von der bitter nötigen Erneuerung des Geistes in seiner Pfarrei und dass er „Schafe habe, die nicht recht katholisch" seien. Offenbar gut informiert forderte er sie zur Rückkehr zum alten Glauben auf und versprach ihnen eine gütige Aufnahme, drohte aber, sie hätten bei Verstocktheit den jüngsten Tag zu fürchten.
Für schärfere Kritik setzte Pfarrer Meyenberg auch Kapuziner ein, die in Schwyz zuhause waren und dadurch bei ihrem Dienst eine grössere Narrenfreiheit hatten. Das führte zu Streitgesprächen zwischen einigen Nikodemiten und den Kapuzinern im Pfarrhaus in Arth. Die Sache eskalierte weiter, als am 7. April 1655 Papst Alexander VII allen beichtenden Gläubigen einen Ablass gewährte und die Leute um Martin von Hospenthal diesen bewusst ignorierten.

Besuch aus Zürich
Da Martin von Hospenthals Beziehungen zu Pfarrer Kesselring und die Kontakte zu Zürich ständig intensiver wurden, lud er ihn und weitere Herren in seine Rigi-Alphütte ein. Am 8. August 1655 besuchten fünf Zürcher, darunter Kesselring, zuerst die Häuser von Martin und Baschi von Hospenthal und setzten dann mit Wein und Rigi-Führer die Reise fort. Selbstverständlich blieben sie nicht unerkannt; man konnte sie ja an den Kleidern als Zürcher und teilweise sogar als Prädikanten einordnen.
Das Aufsehen war gross und alles schnell weitererzählt, auch in anderen katholischen Orten. Der Nuntius in Chur brach sofort auf, als ihm die "novi attentati dei Zuricani" gemeldet wurden. Schwyz beurteilte den Besuch der Zürcher keineswegs als unverfänglich, sondern als schweren Bruch des Stanser Verkommnis von 1481, das es allen verboten hatte, Personen anderer Orte aufzuwiegeln. Pfarrer Meyenberg, der ja von Menzingen nach Arth gekommen war, hatte gute Verbindungen nach Zug, das als Durchzugsgebiet der fünf Zürcher ebenso betroffen war. Dort kümmerte sich Dr. theol. Hans Jakob Haffner (gest. 1662), der laut Rey früher selbst einmal Pfarrer von Arth gewesen war, um die Angelegenheit.
Die katholische Tagsatzung vom 15. September in Luzern wurde auch vom Nuntius besucht, der Gewicht auf die Bedeutung der Arther Vorgänge legte und eine ernsthafte Untersuchung erreichte. Pfarrer Meyenberg seinerseits erstattete Bericht und legte eine Liste der verdächtigen Arther vor. Am 19. September 1655 richtete er von der Kanzel ein ultimatives Mahnwort an die Neugläubigen, es sei noch Zeit, hernach aber „gehe die Obrigkeit gegen Fuchs und Füchslein vor“.

Pfarrer sorgen für Regierungsentscheid
Und nun ging's los! Meyenberg sorgte schon am folgenden Montag für eine Zusammenkunft der Geistlichkeit, forderte mit einer Prozession zum Schwyzer Rathaus zum Eingreifen auf, und erreichte so, dass Listen von zu Verhaftenden aufgestellt wurden (Rey, Protestantismus, S. 134). Die Nikodemiten waren über die drohende Gefahr unterrichtet worden. Hans Baschli von Hospenthal, genannt der Scherer, nahm Martin von Hospenthal mit nach Schwyz, um sich in der Sache umzuhören. Sie besuchten Pannerherr und Altlandamman Wolfgang Dietrich Reding (1593–1687), Hauptmann Jakob Reding sowie Landesseckelmeister und Landvogt Franzist Betschart, also Leute mit Rang und Namen, die ihnen hier aber nicht mehr helfen wollten. Altlandammann Reding schickte Martin von Hospenthal dringend zu Landammann Konrad Heinrich Ab Yberg (1590–1670), der schon in der Zusammenkunft im Kapuzinerkloster sei (Ab Yberg, der auch als Kirchenvogt amtete, verfasste später eine „Defensio“ über die Vorkommnisse in Schwyz). Er solle dort vorsprechen. Ebenso erfuhr Hans Baschli von Hospenthal von Schwager Franzist Betschart, dass die Regierung ihn in Verdacht habe und er sich doch im Kloster melden solle. Auf seinem das Kloster umgehenden Heimweg traf Martin von Hospenthal seinen Arbeiter, Jakob Dammetergi, der sich wunderte ihn hier zu sehen, da man auf dem Hauptplatz davon gesprochen habe, ihn gefangen zu setzen. Auf die Frage nach dem Warum, sagte dieser, es heisse, er sei nicht recht katholisch.

Zuhause versammelte sich am Matthäustag (21. September) die ganze Familie Hospenthal. Die katholischen Mitglieder setzten den drei Nikodemiten Martin, seinem Bruder Baschi sowie Hans Basch(l)i, genannt der Schwarze, stark zu. Es gab eine grosse Auseinandersetzung, in der die anderen Hospenthaler die drei baten, sie sollten ihre Verwandten doch vor Schimpf und Schande bewahren. Anderntags, am 22. September 1655, war es dann soweit: der Schwyzer Rat beschloss, "man solls angriffen und inziechen."

Flucht nach Zürich
Nun entschieden die drei abschlagenden Hospenthals, vor der drohenden Gefahr zu fliehen. Bereits diese Nacht ergriffen sie die Flucht nach Kappel zu Pfarrer Hans Ulrich Bulot (1624–1687), wo sie sich später mit weiteren Nachfolgenden treffen wollten. Am Abend folgte Alexander Anna, mit dem sie sich noch am Vortag beraten hatten. Von dort gingen sie mit Pfarrer Kesselring nach Zürich, wo sie aber deutlich zu spüren bekamen, dass man nicht auf sie gewartet hatte und für einen Entscheid in ihrer Sache auf mehr Herren gewartet werden müsste.
Jetzt war Mittwoch, und in Arth wurde die weitere Flucht vorbereitet. Zwei Schiffe wurden bereit gestellt, das grössere auf der Sonnenbergseite, das kleinere am Schattenberg. Um 23 Uhr fuhren die flüchtigen Nikodemiten im Schutze der Dunkelheit ab, um beim Kiemen vor Immensee aufeinander zu stossen und die Passagiere vom kleinen Schiff aufzunehmen. Nach drei Stunden war man in Zug am Landeplatz der „Steinnauwen“. Und da weder Kindergeschrei noch Hundegebell Unwillkommene heranführten, konnte man via Baar und Blickensdorf nach Kappel gehen, wo die Schar um vier Uhr morgens das Pfarrhaus erreichte.

Die Stimmung war offenbar gedrückt, wusste man ja gar nicht, wie es nun weitergehen sollte. Zudem wurden nach Rey die Flüchtlinge in der Religion als nicht fest gegründet befunden, was zeige, dass die Flucht aus ganz verschiedenen Motiven erfolgte. Gemäss Hanss Rudolff von Hospital („Kurtzer, wahrhafter und gründlicher Bericht, warumb und aus was Ursachen die Evangelischen von Arth, gefreyte Landleüth zu Schwyzt Ihr Vatterland verlassen, und sich zu dem Heiteren und klaaren Liecht des Heiligen Evangeliums begeben“, den 12ten Tag Herbstmonat 1655, siehe Literaturliste) war das jedoch anders. Die Zahl der Geflüchteten schwankt zwischen 32 und 45. Aber in Zürich wurden sie aufgenommen und die Regierung erhob sogar eine Notsteuer für die Flüchtlinge. Daran hatten bei weitem nicht alle Freude. Die Bauern im Knonauer Amt ahnten ja schon, dass das Folgen haben werde: "Man hätte der Arther nicht ermangelt, die machten nur Ungelegenheiten."

Anmerkung zum Datum:
Die katholischen Orte wechselten (gemäss päpstlicher Bulle "Inter gravissimas curas" vom 24. Februar 1582) vom julianischen 5. Oktober direkt zum gregorianischen 15. Oktober 1582. Die reformierten Orte hatten diesen Wechsel erst 1701 nachvollzogen und zwar vom julianischen 1. Januar zum gregorianischen 12. Januar 1701. Die elf Zwischentage wurde einfach ausgelassen. Was auch bedeutet, dass Verträge über die Datumsgrenzen hinweg in diesen gut hundert Jahren immer auch Schwierigkeiten boten. Kurz: Hospenthal hat den Bericht also nicht vor der Flucht geschrieben, es ist einfach das julianische Zürcher Datum. Wahrscheinlich hat er den Text aber sowieso später geschrieben und auf das Fluchtdatum zurückgesetzt (12. September plus 11 Tage der Kalenderreform ergibt den 23. September als Fluchtdatum, den Tag nach dem Ratsbeschluss, die Nikodemiten gefangenzusetzen).


Prozesse
Die Folgen für die Zuhausegebliebenen ergeben sich aus den Gerichtsverfahren . Man kennt die Zahl der Betroffenen auch hier nicht genau, weiss aber, dass in einem ersten Schritt Güter beschlagnahmt wurden, die nach Rey (Protestantismus, S. 156) sogar wertmässig geschätzt wurden. Anschliessend fand der eigentliche Prozess statt, der mit seinem malefizischen Verfahren sowohl ausgetretene Nikodemiten wie hartnäckige verbleibende Täufer betraf.
Bei vermuteter Verheimlichung wurde die Tortur angewandt, das "peinlich Examen". Dazu gehörten die Däumelung und das Hochziehen am Seil, damals gängige Methoden. Das Gerichtsverfahren sollte möglichst im Stillen ablaufen, und da man kein Aufsehen wollte, verbot man Rat und Volk unter Eid, mit Zürcher Bauern darüber zu sprechen.
Da man von den Bernern wusste, dass sie keine Hinrichtungen duldeten, wurde zuerst eine grössere Anzahl von Gefangenen freigelassen. Andere hatten zu beichten und eine Busse zu bezahlen. Hingerichtet wurden – laut Rey alle als Täufer und damit nicht als Nikodemiten oder der Zürcher Religion Nahestehende – vier Personen: Es sind Melchior von Hospenthal, was der Familie den Schimpfnamen "Galgenmelchiors" eintrug. Dann waren da auch Baschi Kennel, Geörg Kamer und Barbara von Hospenthal, die das Leben liessen.

Die Folgen
Die Zürcher hatten Schwyz um Milde gebeten und die Übernahme der verbleibenden Häretiker vorgeschlagen, um ganz im Sinne Berns die Hinrichtungen zu verhindern. Die Todesurteile verstanden die Zürcher nun als letzte Provokation, weshalb sie zusammen mit den Bernern den Schwyzern am 6. Januar 1656 den Krieg erklärten.
In der Folge kam es zum Ersten Villmergerkrieg. Dieser ging nach wenigen Wochen zugunsten der katholischen Innerschweizer aus: der dritte Landfrieden (nach den zwei Kappeler Landfrieden) bestätigte die Vorherrschaft der katholischen Orte. Deren Vormachtstellung endete schliesslich mit der Niederlage im Zweiten Villmergerkrieg von 1712.

Um die Lage in Arth unter Kontrolle zu bringen und den katholischen Glauben zu festigen, liess der Schwyzer Rat ein Kapuzinerkloster errichten. Bereits im Dezember 1655 hatten sich Kapuziner in der «Färberei» niedergelassen und die Zenokapelle übernommen. Mit dem Bau des Klosters begann man zehn Jahre später (1996 errichtete die syrisch-orthodoxe Kirche der Schweiz darin ein religiöses und kulturelles Zentrum). Trotzdem kam es gegen Ende des 17. Jahrhunderts nochmals zu einem Prozess gegen täuferische oder protestantische Aktivitäten.


Danksagung Diese kleine Arther Reformationsgeschichte wäre ohne grosszügige fachliche und materielle Unterstützung nicht möglich geworden. Mein herzlicher Dank geht in zeitlicher Reihenfolge an den damaligen Leiter des Staatsarchivs Kaspar Michel, Rickenbach (Zusammenstellung von verfügbaren Quellen und Sekundärliteratur), Walter Eigel, Arth (Transkription Hospithal Hanns Rudolfs Kurtzem, wahrhaften und gründlichen Bericht), Markus Hürlimann, Zug (erstes Gegenlesen des Textes) und Andrea Kaufmann Jakober, Goldau (Gründliches historisches Korrekturlesen und Ergänzen). Und an meine herzallerliebste Frau Corina Heiniger für die persönliche Unterstützung.

Literaturliste - Alder Garfield, Die Bibel in der Innerschweiz, Schicksale und Bekenntnisse, Friedrich Reinhardt AG, Basel 1964. (Kapitel über Nikodemiten in Arth)
- Denier Anton, Die Nikodemiten von Arth, oder der Hummelhandel, in: Der Geschichtsfreund 36, 1881, S. 115–210.
- von Hospithal Hanss Rudolff, Kurtzer, wahrhafter und gründlicher Bericht, warumb und aus was Ursachen Die Evangelischen von Arth, gefreyte Landleüth zu Schwyzt Ihr Vatterland verlassen, und sich zu dem Heiteren und klaaren Liecht des Heiligen Evangeliums begeben, Den 12ten tag Herbstmonat 1655. (Kapuzinerarchiv Arth? Burgerbibliothek Bern?)
- Jäggi Stefan, Religion und Kirche im Alltag, in: Geschichte des Kantons Schwyz, Bd. 3: Herren und Bauern 1550–1712, hg. von Historischer Verein des Kantons Schwyz, Zürich 2012, S. 243–271. (Nikodemitenhandel: S. 248–249)
- Kessler Valentin, Häretische Revolutionäre? – Der Nikodemitenhandel von 1655, in: „Streit und Staat“, Geschichte der politischen Unruhen im Kanton Schwyz, Schwyz 2007 (Schwyzer Hefte 90), S. 31ff.
- Landolt Oliver, Kirchliche Verhältnisse, in: Geschichte des Kantons Schwyz, Bd. 2: Vom Tal zum Land 1350–1550, hg. von Historischer Verein des Kantons Schwyz, Zürich 2012, S. 231–251. (Pfarrer Trachsel: S. 243–247)
- Landolt Oliver, Auswirkungen der Reformation im Kanton Schwyz, in: Geschichte der Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde Brunnen-Schwyz, [Brunnen] 2015, S.12ff.
- Landolt Oliver, Die Zentralschweiz und die Reformation – einleitende Bemerkungen, in: Der Geschichtsfreund 171, 2018, S. 5–8.
- Lau Thomas, „Stiefbrüder“, Nation und Konfession in der Schweiz und in Europa (1656–1712), Köln 2008.
- Michel Kaspar, Nikodemiten und Kapuziner als Gegensätze: typisch für Arth?! in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 100, 2008, S. 52–55.
- Michel Kaspar, Regieren und verwalten, in: Geschichte des Kantons Schwyz, Bd. 3: Herren und Bauern 1550–1712, hg. von Historischer Verein des Kantons Schwyz, Zürich 2012, S. 9–67. (Nikodemiten: S. 44–47)
- von Reding Joseph Martin, Reding ARTH, Zusammengetragen, handschriftlich festgehalten und mit Zeichnungen illustriert von Joseph Martin von Reding, Schattenberg, Arth (1891–1963), Getreulich transkribiert von Friederika Jenal & Heinz Reding, Arth [2017], S. 34ff.
- Rey Alois, Geschichte des Protestantismus in Arth bis zum Prozess von 1655, Schwyz 1944 (Sonderdruck aus: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 44, 1944).
- Rey Alois, Dekan Balthasar Trachsel von Arth und die Früh-Reformation in Schwyz (1520–1524), in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 71, 1979, S. 221–256.
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